Generation Beziehungsunfähig - Mythos oder Realität?

Sind wir wirklich 'beziehungsunfähig' geworden? In diesem Artikel erfährst du, ob an diesem Mythos wirklich etwas dran ist!

Ein Blick in den eigenen Bekanntenkreis offenbart häufig ein Phänomen, das für die Datingwelt des fortgeschrittenen 21. Jahrhunderts charakteristisch ist. Während die Partnerschaften etlicher Pärchen scheinbar für die Ewigkeit bestimmt sind, schlittern andere junge Erwachsene von einer Beziehung in die nächste.

Wieder andere Singles haben das Hin und Her satt und leben viel eher den Reiz unverbindlicher Abenteuer aus. Nicht selten attestiert man in der Folge Beziehungsunfähigkeit. Was sich wie eine Unverträglichkeit anhört, hat interessante psychologische Hintergründe - und ist bei Weitem nicht in Stein gemeisselt.

Exklusive Probleme der Generation Beziehungsunfähig?

Probleme mit Beziehungen gibt es nicht erst seit einigen Jahren - sie sind vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Schon unsere Grosseltern mussten sich mit Fremdgängern, Casanovas und klammernden Partnern auseinandersetzen. Dennoch sprechen wir, wenn wir den Begriff "Generation Beziehungsunfähig" verwenden, meist von jungen Personen, die zwischen 1990 und 2000 geboren sind. Die Scheidungsrate, die jahrzehntelang kontinuierlich anstieg, hat ihren Höhepunkt überschritten und ist in unserer Generation gar rückläufig. Was führt dazu, dass uns dennoch attestiert wird, unfähig zu sein, langfristige und stabile Beziehungen einzugehen?
Zunächst führen neue Kommunikationsgewohnheiten dazu, dass mehr Probleme aus Beziehungen in den Freundeskreis dringen. Was unsere Eltern früher in einem persönlichen Gespräch mit engen Freunden besprochen haben, wird bei Angehörigen der Generation Beziehungsunfähig in den berüchtigten WhatsApp-Lästergruppen breit getreten. Ergänzt wird diese Wahrnehmung durch populäre Fernsehsendungen des Nachmittagsprogramms, die statt stabiler Partnerschaften auf fesselnde Beziehungsdramen setzen. Schnell entsteht auf diese Weise der Trugschluss, dass Beziehungsprobleme ein exklusives Problem unserer Altersgruppe seien. Dennoch ist es nicht völlig aus der Luft gegriffen, wenn wir von der Generation Beziehungsunfähig sprechen.

Casual Dating oder Partnersuche?

Eine wesentliche Ursache für die Bezeichnung als "Generation Beziehungsunfähig" liegt dabei in der vermeintlichen Austauschbarkeit der Partner. Für dieses Gefühl, das aus einer grossen Liebe schnell einen Partner auf Zeit werden lässt, sind die erweiterten Möglichkeiten des Kennenlernens verantwortlich.

Mann nutzt eine Dating-App am Smartphone

Statt auf glückliche Zufälle zu hoffen, nimmt ein Grossteil junger Singles der Generation Beziehungsunfähig das Handeln in die eigene Hand - oder besser gesagt das Smartphone. Dank einem grossen Angebot an Dating-Apps muss nicht mal die heimische Couch verlassen werden, um in Kontakt mit dem anderen Geschlecht zu treten. Besonders interessant ist dabei die Swipe-Funktion, die wesentlicher Bestandteil etlicher Apps ist. Der Nutzerin oder dem Nutzer werden dabei Fotos potenzieller Partner präsentiert, die mit einem Wisch nach links oder rechts als unpassend oder prinzipiell interessant kategorisiert werden. Gerade in Grossstädten sehen sich Singles der Generation Beziehungsunfähig so einer unüberschaubaren Flut neuer und interessanter Kontakte ausgesetzt. Dadurch verlieren einzelne Personen an Wert und die Lust auf eine dauerhafte Partnerschaft tritt hinter den Reiz des Casual Datings zurück.
Zu letzterem trägt auch ein verändertes Verhältnis zur eigenen Sexualität bei. Während es vor Jahrzehnten äusserst unsittlich war, ausserhalb der Ehe Intimitäten auszuleben, müssen derlei Aktivitäten heute nicht mehr streng geheim gehalten werden. Viel mehr ist der One-Night-Stand vom letzten Wochenende ein aufregendes Gesprächsthema für den Café-Besuch mit den Freundinnen oder den Smalltalk mit den befreundeten Jungs. Angesichts der Fülle potenzieller Betthäschen und Liebhaber verliert eine oft als einschränkend proklamierte Beziehung an Attraktivität.

Unabhängigkeit als potentieller Beziehungskiller

Die Veränderungen in unserer Lebenswelt umfassen nicht nur den digitalen Fortschritt und die damit einhergehenden Dating-Gewohnheiten. Generell hat sich in den letzten Jahrzehnten die Art und Weise, wie wir Beziehungen wahrnehmen, gewandelt. Auch homosexuelle Partnerschaften scheitern häufig ebenfalls durch die Unfähigkeit, sich auf den Partner einzulassen und dauerhaft an ihn zu binden. Neben der Verfügbarkeit von effektiven Verhütungsmitteln wie der Anti-Baby-Pille und Kondomen leisten auch sich wandelnde Geschlechterrollen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu veränderten Partnerschaften von Männern und Frauen der Generation Beziehungsunfähig.

Überwindung der typischen Geschlechterrollen


Das jahrhundertelang vorherrschende dualistische Prinzip nach dem der Mann ausser Haus das Geld erwirtschaftete und seine Frau sich um Haus und Kinder kümmerte, ist mittlerweile längst überholt. Zwar sind die feministisch-emanzipatorischen Bestrebungen nach Gleichberechtigung beider Geschlechter noch lange nicht an ihrem Ziel angekommen. Zu gross sind die Differenzen der Gehälter, die auch als Gender-Pay-Gap bezeichnet werden, oder die durch die Medien einseitig vorgenommenen und patriarchische Strukturen fördernde Zuschreibungen von Eigenschaften. Dennoch sind Frauen heutzutage deutlich weniger auf einen Mann an ihrer Seite angewiesen als noch vor 50 Jahren. Die daraus resultierende Unabhängigkeit, die im Gegenzug natürlich auch auf Männer übertragbar ist, spielt im Unterbewussten eine wesentliche Rolle bei der Partnersuche.
Da von Angehörigen der Generation Beziehungsunfähig nicht mehr auf Biegen und Brechen nach dem passenden Partner gesucht und an diesem festgehalten wird, sondern lieber alle Optionen abgewogen werden, kommen viele Beziehungen nicht zustande oder scheitern unmittelbar. Oftmals wird die Schuld dann in der eigenen Unfähigkeit, eine Partnerschaft zu führen, gesucht oder selbige dem Ex-Freund oder der Ex-Freundin attestiert.

Bindungsangst - Abwehrhaltung oder Selbstschutz?

Auf der Suche nach Ursachen unserer attestierten Beziehungsunfähigkeit dürfen die beschriebenen, in sozialen und digitalen Neuerungen begründeten Veränderungen keineswegs ausser Acht gelassen werden. Sie bieten gewissermassen den Rahmen für jegliches Handeln. Unser Tun wird jedoch vor allem von unserem Inneren beeinflusst. 

Frau sitzt deprimiert auf Bett

Die proklamierte Unfähigkeit, eine Beziehung zu führen, hat häufig tiefgründige psychologische Ursachen. Die wohl bedeutendste davon ist Bindungsangst. Landläufig wird mit diesem Begriff oft das Unwollen suggeriert, eine feste Partnerschaft einzugehen. Doch diese Definition greift zu kurz. Viel mehr leiden betroffene Personen unter der Angst, sich emotional an einen Menschen zu binden. Dies kann auch der Fall sein, obwohl eine Beziehung eingegangen wurde. Mit Bindungsangst geht jedoch meist ein Verhalten einher, das auf möglichst grosse emotionale Distanz ausgelegt ist - das Scheitern der Partnerschaft ist häufig die logische Folge.
Doch woher stammt dieses Vermeiden von Nähe? Häufig steckt Angst, den Partner zu verlieren dahinter. Um zu verhindern, emotional verletzt zu werden, lassen betroffene Menschen häufig nicht zu, eine tiefe emotionale Bindung zu ihrem Gegenüber aufzubauen. Dieser paradoxe Selbstschutzmechanismus führt häufig am gewünschten Ziel vorbei und hat oft das Gegenteil zur Folge: Die Beziehung kühlt ab und beide Partner entfernen sich voneinander.
Bindungsangst lässt sich oft auch auf die Angst vor an eine Partnerschaft gekoppelten Erwartungen zurückführen. Wer mit einer Beziehung vor allem Pflichten oder Zwänge assoziiert, kommt häufig zum Schluss, lieber keine Beziehung einzugehen. Durch den medialen Überfluss, der gerade die Generation Beziehungsunfähig zu jeder Tageszeit umgibt, werden kaum erfüllbare Erwartungen an den perfekten Partner stilisiert - Versagensangst und Selbstzweifel sind die unvermeidbare Folge. Um diese negativen Gefühle zu umgehen, wird oft aus Selbstschutz keine Bindung zugelassen.

Dauerhafte Diagnose Beziehungsunfähigkeit?

Gute Nachricht für alle, deren potenzieller Partner über Beziehungsunfähigkeit klagt: Medizinisch gesehen gibt es keinerlei Diagnose, die auf dieses Phänomen verweist. Zwar existieren aus psychiatrischer Sicht Bindungs- und Entwicklungsstörungen, die das Vermögen, eine Partnerschaft aufrecht zu erhalten, stark einschränken. Diese sind jedoch quantitativ unbedeutend und haben andere Ursachen als das, was wir als Beziehungsunfähigkeit bezeichnen. Mit diesem Begriff umschreiben wir also keine medizinische Unfähigkeit oder Problematik. Das war jedoch nicht immer so. In unserer, traditionell auf Monogamie ausgerichteten Gesellschaft galt es lange Zeit als unsittlich, die eigene Sexualität ausserhalb fester Beziehungen auszuleben. Teilweise standen auf dieses Verhalten, das als Promiskuität bezeichnet und medizinisch begründet wurde, drastische Strafen.
 

Besonders problematische Auswirkungen kann eine vermeintliche Beziehungsunfähigkeit vor allem für Menschen haben, die sich eine stabile Partnerschaft mit einer betroffenen Person wünschen. Wenn eine Beziehung nicht aufgrund persönlicher Gründe, sondern der vorhandenen Bindungsangst nicht zustande kommt, hilft Sicherheit. 

Frau lehnt Heiratsantrag ab

Zeige deinem Gegenüber in besonderem Masse was dir an ihr oder an ihm liegt - und verdeutliche der Person ihre tollen Eigenschaften. Auch hilfreich kann sein, der potenziellen Partnerin oder dem möglichen Partner zu zeigen, dass du nicht jeden Tag einen Strauss Rosen erwartest, nicht 24 Stunden am Tag Aufmerksamkeit einforderst und weisst, dass Hollywood-Beziehungen nicht die Realität abbilden sondern der Fantasie von Filmemachern entsprechen. Du wirst überrascht sein, wie viel einfacher es deinem Gegenüber fallen wird, die gemeinsame Zeit nicht als etwas Krampfhaftes, sondern als bereichernd und schön zu empfinden.

Selbstoptimierung - Ursache oder Ausweg?

Unzufriedenheit mit dem eigenen Ich wird häufig auf potenzielle Partner projeziert. Der auf sämtlichen Instagram-Seitenverbreitete Spruch "Du musst dich selbst lieben, bevor du jemand anderes lieben kannst." mag zwar kitschig anmuten, seine Botschaft stimmt allerdings mit den Erkenntnissen von Dating-Experten überein. Wer auf den eigenen Wert vertraut, wirkt nicht nur ungleich attraktiver auf das andere Geschlecht, sondern läuft weniger Gefahr, emotional verletzt zu werden. Das eigene Selbstvertrauen hilft dabei, den eigenen Wert nicht an die Beziehung zu koppeln und verhindert so lästiges Klammern. Wer um seine positive Ausstrahlung weiss, muss zudem nicht befürchten im Falle eines Beziehungsaus ewiger Single zu bleiben - die zerstörerische Verlustangst ist so deutlich eingedämmt. Positive Gefühle gegenüber deinem eigenen Selbst können somit dazu beitragen, die psychologischen Ursachen von Beziehungsunfähigkeit zu lindern.

Selbstbewusstsein vs. Selbstoptimierung 


Vorsicht ist dennoch geboten: Das Streben nach einem gesunden Selbstbewusstsein sollte keineswegs mit Selbstoptimierung verwechselt werden. Zwar ist es durchaus positiv zu bewerten, lästige Eigenschaften zu bekämpfen. Ein paar Pfunde abzunehmen, einen regelmässigen Schlafrhythmus zu etablieren oder öfter unter Leute zu gehen wird sicherlich dazu beitragen, erhobenen Hauptes in jeden neuen Tag zu starten. Unbedingt vermeiden solltest du jedoch, eine verbesserte Version von dir als Massstab zu nehmen, an dem du Tag für Tag deine aktuelle Persönlichkeit misst. Resultat dieser defizitären Sichtweise sind oft genau die negativen Gefühle, die du eigentlich zu vermeiden versuchst. Eine weitere Folge ist, dass du auch bei potenziellen Partnerinnen und möglichen Partnern dein Augenmerk vor allem auf die vermeintlichen Defizite legst.

Selbstliebe als Zufriedenheitsgarant

Wenn du dich auf deine eigenen Stärken besinnst und eine positive Sichtweise annimmst ohne aufzuhören, an dir selbst zu wachsen, verändert sich dein Blickwinkel und du nimmst auch bei den Menschen um dich herum schöne Eigenschaften wahr. Aus einem "Abgelehnt - die hat ja gar keine Oberschenkellücke" oder einem "Geheimratsecken - gehen ja gar nicht!" wird so schnell ein "Wow, ich bin gespannt was sich hinter dem hübschen Gesicht verbirgt". Wer mit sich selbst zufrieden ist, strahlt das auch nach aussen hin aus. Gemäss dem viel zitierten Law of Attraction ziehen wir genau das an, was wir selbst denken. Ist deine Sichtweise also von positiven, selbstbewussten Gedanken geprägt, besteht eine grosse Chance, Menschen mit ähnlichen Einstellungen zu finden und mit ihnen eine gesunde Beziehung zu führen.
Einen letzten, unverzichtbaren Tipp haben wir noch für dich: Etliche Singles suchen nach "mehr" - einer Person, die das eigene Leben spannender, lustiger und zu einem grossen Abenteuer macht. Versuche, dein eigenes Leben so zu gestalten, dass es dich auch ohne Partner ausfüllt. Wenn du eine tolle Beziehung als die Kirsche auf der Sahnetorte deines ganz besonderen Lebens betrachtest, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Partnerschaft gesund ist und lange hält.
Macht euch gegenseitig glücklich und zeigt, dass wir junge Erwachsene zu deutlich mehr im Stande sind als durch "Generation Beziehungsunfähig" suggeriert wird!

Chris Pleines
Chris Pleines
Gründer von ZU-ZWEIT.ch und Buchautor von „Online-Dating für Dummies“
Der Diplom-Medieninformatiker Chris Pleines testet seit 15 Jahren ZU-ZWEIT.ch Dating Apps und ist heute einer der führenden Online-Dating-Experten. In zahlreichen Fernseh- und Radio-Interviews gibt er immer wieder Tipps rund ums Online-Dating.

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